Peter

Wouda

Design Director - Vehicle, Volkswagen Group Future Center Europe

„Mein persönlicher Wunsch ist eine Stadt mit weniger parkenden Autos und mehr Grünflächen.“

Herr Peter Wouda, können Sie sich kurz vorstellen?

Ich bin Autodesigner und Designdirektor für Fahrzeugdesign im Volkswagen Group Future Center Europe. Wir arbeiten hier für zwölf Marken der Volkswagen Group. Es gibt noch ein Future Center in Peking und eines in San Francisco, mit denen wir in einem Innovationsnetzwerk zusammenarbeiten. Im Oktober 2017 ist das Volkswagen Design Center in Potsdam umgewandelt worden in das Volkswagen Group Future Center Europe.

Inwieweit haben sich Ihre Aufgaben und die des Teams verändert?

Bis vor etwa zweieinhalb Jahren haben wir nur Automobildesign gemacht, bis die Volkswagen AG realisiert hat, dass wir uns nicht dauerhaft auf Autos alleine konzentrieren können, sondern das Thema Mobilität ganzheitlich betrachten und gestalten müssen. Wir wandelten uns zum Future Design Center, kreieren jetzt interdisziplinäre Teams und arbeiten an Themen, bei denen von Anfang an der klassische Autodesigner mit einem User Experience Designer zusammenarbeitet.

„In unserem Bereich der Gestaltung von Automobilen und Produkten stellen wir immer wieder fest, dass wir auch bei aller Digitalisierung nicht um das Zeichnen herumkommen.“

Welche Veränderung sehen Sie für die nächsten zehn Jahre?

Tatsache ist, dass wir an einer Schwelle hin zu einer kompletten Neuausrichtung und revolutionären Veränderungen stehen. Die Digitalisierung wird vieles verändern, zum Beispiel das vernetzte und autonome Fahren ebenso wie Carsharing. Das sind Themen, die auch uns hier intensiv beschäftigen. Wir investieren viele Ressourcen in die Entwicklung von elektrischen Antrieben, weil elektrisch betriebene Autos, kombiniert mit den Möglichkeiten des autonomen Fahrens, komplett neue Mobilitätskonzepte für die Zukunft ergeben. Diese können von kleinen Kapseln, etwa einsitzigen Fahrzeugen für Pendler, bis hin zu größeren Shuttlebussen reichen, die aufgrund der digitalen Vernetzung und künstlicher Intelligenz genau wissen, wo die Fahrgäste sind und so die Route designen. Für die Zukunft wollen wir eine Bandbreite an Mobilitätsdienstleistungen anbieten.

Was ist Ihr persönlicher Wunsch für eine sich verändernde Mobilität?

Ich lebe in Berlin und die Straßen hier sind vollgeparkt mit Autos, die zu 90 Prozent der Zeit zehn Quadratmeter Verkehrsfläche der Stadt einnehmen. Mein persönlicher Wunsch ist eine Stadt weniger parkenden Autos und mit mehr Grünflächen, Kinderspielplätzen, Fahrradwegen oder breiteren Bürgersteigen, auf denen Straßencafés Platz finden. In dieser Zukunft ergibt es keinen Sinn, ein Auto zu besitzen, denn ich kann jederzeit eines per Knopfdruck bestellen. Dieses Auto holt mich ab, weiß, wohin ich will und dass ich am liebsten die Netflix-Serie vom Vorabend weitersehen möchte. In dieser Zukunft, die wir natürlich auch ermöglichen wollen, muss man kein Auto mehr besitzen, sondern lediglich eine App auf dem eigenen Smartphone. Das heißt, ich muss keine Parkfläche in Berlin okkupieren.

Heute besitzen Haus und Auto bei der jüngeren Generation einen geringeren Stellenwert als früher, das Kaufverhalten hat sich verändert. Angebote wie das Carsharing wurden allerdings in den letzten Jahren stärker genutzt. Wie wird diese Entwicklung das Fahrzeugdesign beeinflussen?

Dass das Auto als Statussymbol abnimmt, ist ein offensichtlicher und nachweislicher Trend. Heute ist man sehr vorsichtig mit dem Kauf eines Autos. Wenn aber in Zukunft durch die Digitalisierung und autonomes Fahren für jede Fahrt ein anderes Auto bestellbar ist, ist man viel experimentierfreudiger. Somit kommt mehr Arbeit auf uns Designer zu und auch wir können experimenteller mit dieser Zukunft umgehen. Damit wächst auch unsere Zielgruppe. Es sind dann nicht mehr nur die Autokäufer, sondern alle Menschen – auch Blinde oder Kinder, die selbstständig zur Schule fahren. Somit haben wir mehr Use-Cases, also Anwendungsfälle, die wir gestalten können. Hinzu kommt, dass in Zukunft die vollautonomen Fahrzeuge in den Städten permanent unterwegs sein sollen. Diese Fahrzeuge altern schneller und sind vielleicht nur zwei Jahre in Benutzung, weil sie so viel unterwegs sind. Wir müssen viel schneller gestalten und auf Trends reagieren können. Insofern ist der Automobildesigner gefordert, kreativer und flexibler mit den Herausforderungen und Wünschen der Kunden umzugehen.

Haben Sie hier im Future Center eine Abteilung, die nicht direkt mit dem Fahrzeug zu tun hat, sondern in welcher etwas komplett Neues gestaltet wird, etwa neue Möglichkeiten der Interaktion?

Wir arbeiten immer in interdisziplinären Teams. Zum Beispiel beschäftigt sich im Moment ein Team intensiv mit der Frage, wie die Mobilität der Zukunft per App genutzt werden soll. Es geht also um die Gestaltung der digitalen Erfahrung, unabhängig vom Automobil.

In einem Interview bei der Volkswagen AG sagten Sie: „Als Designer lebt man in gewisser Weise ständig in der Zukunft, denn was wir heute entwerfen, bestimmt in fünf oder zehn Jahren unser Straßenbild.“ Wäre es nicht denkbar, sich eine Zukunft vorzustellen, bevor man dafür ein Auto gestaltet?

Also tatsächlich gehen wir so vor, dass wir Zukunftsszenarien beschreiben. Wir reden dann von Lebenswelten, und diese sind von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich. Wir gehen von den Bedürfnissen der Menschen und deren Lebenswelten aus und überlegen dann, wie deren Bedürfnisse auf nachhaltige Art und Weise zu erfüllen sind. Wir versuchen, praktisch von hinten das Feld aufzuräumen und Lösungen zu finden für die Zukunft, die wir projizieren. Dafür müssen wir verstehen, welche Nöte und Wünsche die Menschen im jeweiligen Szenario haben. Wir sehen mehr und mehr, dass gar nicht der Endverbraucher unser Kunde sein wird, sondern Städte selbst, wie zum Beispiel Neu-Delhi oder México City. Unser Ziel kann nicht sein, dass wir lediglich die Menschen aus dem öffentlichen Nahverkehr in irgendwelche Carsharing Modelle hineinbekommen. Denn dann haben wir nur noch mehr Verkehrschaos in den Städten. Unser Ziel muss es eigentlich sein, keine parkenden Autos in der Stadt zu haben, sondern stattdessen eine „seamless mobility“ anzubieten.

Was verstehen Sie unter seamless mobility, die ständige Bewegung?

Ja, die ständige Bewegung von einem relativ langsamen Fahrzeug. Wenn der Verkehr einer Stadt mit konstanten 30 km/h unterwegs ist und Fahrzeuge nur kurz anhalten, um Passagiere aufzunehmen, dann ist das ein durch Schwarmintelligenz gesteuerter Verkehr, der praktisch langsamer erscheint, aber letztendlich doch schneller und effektiver ist. Auch Ampeln und Staus können vermieden werden. Allerdings liegen da noch viele Probleme und Herausforderungen vor uns, die wir nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Städten lösen können.

Sind Sie der Meinung, dass der Dieselskandal Volkswagen auf lange Sicht beeinträchtigen wird, oder dass der Skandal ein Umdenken bezüglich des autonomen Fahrens ausgelöst hat?

Uns Designern hat dieser Skandal eigentlich Türen geöffnet, die vorher verschlossen waren. Als Designer denken wir schon seit zehn bis zwanzig Jahren immer wieder über neue Architektur von Fahrzeugen und neuer Antriebe nach, zusammen mit unseren Kollegen aus der Forschung. Aber wir sind oft gescheitert, weil die Türen zu den entscheidungsfällenden Gremien für uns ein Stück weit verschlossen waren. Wir haben jetzt einen direkteren Austausch mit den Entscheidungsträgern, weil jedem bewusst geworden ist, dass wir uns transformieren und die Dinge radikal weiterentwickeln müssen.

Nicht nur auf das Automobil bezogen, was ist Nachhaltigkeit für Sie?

Nachhaltigkeit ist einer der wichtigsten Punkte für uns alle, unabhängig davon, in welchem Bereich wir tätig sind. Das beginnt bei der Materialforschung, wo wir schauen, mit welchen möglichst nachhaltig gewonnenen Materialien wir welche Komponenten in Zukunft bauen können. Ebenso in der Antriebsforschung. Die Verbrennungsmotoren, die wir jetzt und in den nächsten Jahrzehnten immer noch haben werden, werden immer weniger, aber es wird nicht plötzlich auf Elektro umgestellt werden. Daher müssen wir die Verbrennungsmotoren immer weiter optimieren. Das Thema Batterietechnologie ist ein riesiges Feld. Wo kommen die Materialien für die Batterien her? Wie werden sie recycelt? Jeder Kunde muss sich fragen, was er unter Nachhaltigkeit versteht. Wir haben zum Beispiel auch unsere Dienstflugreisen extrem reduziert, indem wir virtuelle Meetings abhalten. Das spart unglaublich viel CO2. Nachhaltigkeit per se kann man so gar nicht beantworten, es geht in jeden Bereich hinein.

„Mein persönlicher Wunsch ist eine Stadt mit weniger parkenden Autos und mehr Grünflächen.“

Welche Bedeutung hat das IDZ für Sie?

Das IDZ ist ein Fels in der Brandung, der seit 50 Jahren für die gute Sache kämpft, für das Verständnis von Gestaltung, Innovation und Empathie wirbt und Design in die breite Masse trägt. Wir müssen noch vielen Unternehmen klar machen, dass es, wenn sie in Design investieren, um viel mehr als nur das „Hübsch-Machen“ geht.

Glauben Sie, dass Institutionen wie das IDZ als Innovationstreiber oder als Mediator für Designverständnis fungieren können?

Als Designer sind wir eine Berufsgruppe, die noch immer viele Erklärungen braucht. Da können Institutionen wie das IDZ Aufklärer und Fürsprecher für Design und seine Mitglieder in Richtung Öffentlichkeit und Politik sein. Design, so wie es heute gelehrt und gelebt wird, kann aber viel mehr bewirken, als in der Allgemeinheit wahrgenommen wird. Institutionen und das IDZ können helfen zu kommunizieren, wozu Design in der Lage ist. Ein Unternehmen weiterzubringen, eine Identität zu stiften, Innovationen voranzutreiben. Es ist in der breiten Masse und auch in vielen Unternehmen noch nicht verstanden worden, dass Design Innovationen hervorbringen kann. In diesem Bereich kann das IDZ sehr helfen, und es wird auch nicht müde, diese Themen weiterhin publik zu machen.

Was sind Ihrer Meinung nach die Eigenschaften, die ein junger Designer mitbringen muss?

Jemand, der sich für Design interessiert, muss neugierig sein. Ich glaube, gute Designer sind viel gereist, haben viel beobachtet und sich stark inspirieren lassen. Menschen zu beobachten, mit Menschen zu sprechen, Probleme zu analysieren und Rückschlüsse zu ziehen – das ist sehr wichtig. Ein Designer muss Lust haben zu kommunizieren und es ist wichtig, dass man zuhören kann, empathisch ist und Eindrücke sammelt. In unserem Bereich der Gestaltung von Automobilen und Produkten stellen wir immer wieder fest, dass wir auch bei aller Digitalisierung nicht um das Zeichnen herumkommen. Egal, ob auf Post-Its oder in Büchern, die Zeichnung ist immer noch eines unserer wichtigsten Kommunikationsmittel.

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