Direktor, Vitra Design Museum
„Designer müssen auch Widerstand leisten.”
Wie verstehen Sie die Aufgabe des Vitra Design Museums und Ihre als Direktor und Designkurator? Hat sich die Rolle von Designinstitutionen über die letzten 50 Jahre verändert?
Ja, sehr stark. Sie hat sich in dem Maße verändert, in dem sich auch Design und die Wahrnehmung von Design in der Gesellschaft verändert hat. Wenn wir uns anschauen, wie Design vor 50 Jahren verstanden wurde, war es damals noch sehr stark als Praxis der Objektgestaltung definiert. Es war stark an Produkte, auch an die Gestaltung von industriellen Produkten gekoppelt – Stichwort „Gute Form“. Mit diesem Schlagwort wurde Design in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Das hat sich im Laufe des späten 20. Jahrhunderts und der Jahrzehnte sehr stark gewandelt. Heute versteht man Design längst nicht mehr nur an Industrie gekoppelt, sondern wir stellen fest, dass im Zuge der Digitalisierung auch andere Herstellungsprozesse für Alltagsobjekte an Bedeutung gewinnen. Vor allem merken wir, dass sich Design eben nicht nur auf Produktgestaltung bezieht, sondern auch auf gesellschaftliche Zusammenhänge, Kommunikation und auf Interaktion zwischen Menschen. All diese Dinge haben sich verändert und das hat auch die Praxis des Designmuseums verändert: wie wir Ausstellungen machen, was und wie wir vermitteln.
„Design ist auch eine hochprofessionalisierte Disziplin, die erlernt werden muss, in der es auch Maßstäbe für gelungene oder weniger gelungene Ergebnisse gibt.”
Können Sie ein Beispiel für eine Designarbeit nennen, die Sie als zukunftsweisend oder zeitgemäß empfinden?
Ein Beispiel wäre die Plattform „OpenDesk“, bei der verschiedene Designer Dateien zum Download für Möbel zum Kauf anbieten. Diese können in der nächsten lokalen Schreinerei auf Grundlage dieser digitalen Datei produziert werden und man erhält so das fertige Möbelstück. Man hat nicht mehr den Transport des Objekts, nur den der Daten und hat am Ende dennoch den fertigen Gegenstand. Das Beispiel zeigt, dass, was ich als Design sehe, einerseits die Möbel sind, die angeboten werden und andererseits die Plattform an sich. Dahinter steht die Idee, den Vertrieb und die Zugänglichkeit von Gestaltung für möglichst viele Menschen auf demokratische Weise erreichbar zu machen. Der Fokus verschiebt sich vom Objekt auf den Grundgedanken und den Prozess, der dahinter steht. Sekundär ist zu sehen, dass diese digitale Distribution von Design auch eine neue Ästhetik der so entstehenden Objekte mit sich bringt.
Wie wird gefiltert, was im Vitra Design Museum gezeigt wird?
Ziel ist nicht nur zeigen, was Design ist, sondern dass es auch eine Relevanz und Qualität gibt, die man sich permanent erhalten muss, indem man schaut, was sich noch als Design bezeichnen lässt, was hingegen nicht, und wo die Grenzen verlaufen. Es werden die herausragenden Werke gezeigt. Wir achten darauf, dass der Eurozentrismus im Design in unseren Ausstellungen und Sammlungen eine bessere Balance findet.
„Es gibt auch eine Nachhaltigkeit der Ästhetik.”
Welche Bedeutung spielt Design in der Gesellschaft?
Design spielt eine sehr große Rolle. Wir werden ständig mit dem Begriff konfrontiert. Teils viel häufiger als es nötig und sinnvoll ist, somit gibt es eine Art Inflation von Design. Das ist die Kehrseite des Erfolgs von Design. Es ist eine sehr junge Disziplin im Vergleich zur Kunst oder Architektur, von der wir seit circa 150 Jahren sprechen. Wenn wir betrachten, wie sich Design in der Gesellschaft verbreitet hat, dann ist es eine riesige Erfolgsgeschichte auf der einen Seite. Andererseits ist mit Erfolg auch immer verbunden, dass er sehr trivialisierend wirkt, und alles irgendwie als Design bezeichnet wird. Das empfinde ich als gefährlich, weil man dann aus dem Blick verliert, dass Design auch eine hochprofessionalisierte Disziplin ist, die erlernt werden muss und für welche es ebenso Maßstäbe für gelungene oder weniger gelungene Ergebnisse gibt. Dass es eine Relevanz und Qualität von Design gibt, ist was wir als Designmuseum hochhalten wollen.
Welcher Bereich unserer Gesellschaft wird sich zukünftig durch Design am meisten verändern? Gibt es einen Punkt, den Sie als besonders kritisch für die zukünftige Entwicklung des Designs für unsere Gesellschaft sehen?
Was sich nicht mehr so verändern wird, sind Bereiche, in denen Design sowieso schon präsent ist. Zum Beispiel der Wohnbereich. Aus dem privaten Wohnumfeld ist Design nicht mehr wegzudenken, aber aus meiner Sicht sind dort keine grundlegenden Revolutionen mehr zu erwarten. Ich glaube, was sich noch stark verändert, ist die Rolle des Designs in der Schnittstelle zur digitalen Welt. Künstliche Intelligenz im Alltag, autonomes Fahren – das sind neue Schnittstellen zwischen uns, dem Nutzer und den neuen Technologien, die gerade erst in den Alltag einziehen und gerade so an der Schwelle sind den Massenmarkt zu erreichen. Da sind Designer aus meiner Sicht entscheidend, weil sie das Interface zwischen Mensch und Technologie gestalten. Es ist noch viel offen und unklar, wie es sich entwickeln wird in den nächsten Jahrzehnten. Da ist die Wirkkraft von Designern noch sehr groß.
Ist Nachhaltigkeit bei der Entwicklung wichtig? Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Der Begriff kam in den 80er, 90er Jahren auf und hatte am Anfang dieses Öko-Image. Man dachte, dass Nachhaltigkeit primär dann gegeben ist, wenn etwas aus Holz oder recycelt ist. Heute ist das Verständnis für den Begriff komplexer. Nachhaltigkeit erfordert den Blick auf den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Heute wird in diesem Sinne über Nachhaltigkeit nachgedacht, weil man überlegt, ob man vielleicht auf etwas verzichten sollte. Es gibt auch eine Nachhaltigkeit der Ästhetik. Eine zeitlose und nicht formfokussierte Gestaltung in Richtung einer systemischen Gestaltung der Objekte. Teil davon ist die Langlebigkeit eines Produktes mitzugestalten, die am Ende wesentlich nachhaltiger ist, als wenn ein Objekt so hergestellt wird, dass es zwar super recycelt werden kann, aber modisch gestaltet ist und nach drei Jahren doch weggeworfen wird. Dann ist das Objekt nicht nachhaltig, auch wenn es recycelt werden kann, da es den Kreislauf des „immer schneller und mehr produzieren“ nicht durchbricht.
„Was sich noch stark verändert, ist die Rolle des Design in der Schnittstelle zur digitalen Welt.”
Sind Sie demzufolge der Meinung, dass ein stärkerer Fokus auf ein nachhaltiges Leben eine Lösung für unser gesellschaftliches Zusammenleben sein kann und somit Veränderungen in der Designwelt auslösen kann?
Ja, ich glaube wir erleben eine sehr starke Politisierung von Design. Es treten immer mehr Begriffe auf wie „Social Design“, „Critical Design“ und „Aktivismus“, die zum letzten Mal bewusst in den 80er Jahren aufgetreten sind. Ich glaube, durch die letzten zehn Jahre, die wir eigentlich in einem permanenten Zustand einer gefühlten Krise erleben, hat sich bei vielen Designern durchgesetzt, dass die Digitalisierung nicht die Rettung für alles ist und Designer auch Widerstand leisten müssen. Sich nicht mehr nur als Dienstleister zu verstehen und abzuwarten, dass ein Hersteller einen Auftragt erteilt, sondern eigeninitiativ tätig zu werden – Design als politisches Instrument zu verstehen, um Kritik zu üben und Alternativen sowie Visionen zu entwickeln.
Victor Papanek schrieb 1971: „Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht.“ Würden Sie dem zustimmen? Hat sich in den letzten 50 Jahren daran etwas geändert?
In dieser Schärfe würde ich nicht unbedingt zustimmen. Aber ich glaube auch, dass Papanek ein großer Zuspitzer war, der die Kontroverse gesucht hat. Ich würde so einen Satz als Teil seines Werkes sehen. Und das Werk bestand darin, eine Öffentlichkeit für Design zu erreichen. Victor Papanek war der erste, der Design ins Fernsehen gebracht und eine Fernsehsendung gemacht hat. Das gibt es heute immer noch nicht in Deutschland. Da musste er so polarisieren um gehört zu werden. Und das war etwas, was er sehr verstand. Ich unterstütze Papaneks Haltung, dass sich Design davon entfernen muss, als Dienstleistung verstanden zu werden, die man für jeden erbringt, der einem einen Auftrag gibt. Man muss als Designer ein eigenes, sehr kritisches Bewusstsein dafür entwickeln, was man entwirft, für wen man entwirft, in welchem Kontext man entwirft. Und man muss eben ein Bewusstsein dafür entwickeln, was er mit dem Zitat meinte: Dass Designlösungen tatsächlich auch Schaden anrichten können.
Das Design per se nicht immer nur Gutes ist, sondern wirklich, in den falschen Kontext eingebunden, destruktive Kräfte freisetzen kann und man als Designer mitverantwortlich gemacht werden kann. Diese Erkenntnis im Jahr 1971 war ziemlich radikal und richtig. Deshalb finde ich so richtig, so jemandem wieder eine Plattform zu geben. In den 80er, 90er Jahren hat sich kaum jemand für das, was Papanek sagte, interessiert. Und heute wird Papanek zitiert, gerade Studenten und jüngere Designer interessieren sich für so jemanden mehr, als für die Ideologie der Guten Form oder, dass Designer in der Industrie arbeiten müssen. Das ist nicht mehr neu, aber Papaneks Satz ist heute viel inspirierender und wichtiger.
„Designer müssen auch Widerstand leisten.”
Glauben Sie, dass Institutionen wie das IDZ & das Vitra Design Museum Vermittler für ein „anderes“, zeitgemäßes Designverständnis sein können?
Ja, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen das sein können, sonst haben wir unseren Daseinszweck verfehlt. Wir haben als Museum Menschen, die sich extrem gut mit Design auskennen, Kuratoren, Forscher und eine Sammlung. Wir haben alle „Zutaten“, die gebraucht werden, um die Designentwicklung zu verstehen. Dann ist unsere Pflicht, was wir lernen und bearbeiten in die Öffentlichkeit zu tragen. Es ist auch wichtig, als Designmuseum gegen das Klischee anzugehen, dass Design primär ein Wirtschaftsfaktor ist. Design sollte nicht nur beurteilt werden, ob es wirtschaftlich, industriell erfolgreich ist, gemessen an Verkaufs- und Stückzahlen. Das ist zu kurz gedacht, weil es dazu führt, dass viele Designförderungen in Deutschland nach diesem Maßstab verteilt werden. Oft wird dann diese Art von Design oder Designinstitution gefördert, die ein eher oberflächliches Verständnis von Design vermittelt: „Design ist Marketing“, „Design schafft Mehrwert“, „Design hilft Unternehmen zum Erfolg“. Das ist alles nicht falsch! Aber wenn das in den Vordergrund gestellt wird, dann wird diesem Vorurteil in der Öffentlichkeit Vorschub geleistet. Dass Design primär ein Wirtschaftsfaktor und Marketingaspekt ist, ist ein Harakiri. Deshalb ist so wichtig, diese andere Sichtweise zu vertreten. In anderen Ländern ist schon viel etablierter, dass Design ein Aspekt der öffentlichen Kultur ist und dementsprechend in der Öffentlichkeit und im Kulturleben in der Förderung auftaucht.
„Damals war Design noch sehr stark als Praxis der Objektgestaltung definiert.”
Welche Bedeutung hat das IDZ Berlin? Wie stehen Sie zum IDZ Berlin?
Ich habe das IDZ natürlich immer verfolgt. Ich fand das IDZ immer wichtig in Berlin, weil es eine Anlaufstelle für die ganze Designwelt ist und das braucht es in der Stadt. Des Weiteren gibt es nicht viele Institutionen, die sich das Thema Design zuschreiben. Insofern ist es eine wertvolle Einrichtung. Es ist aus einem tollen Grundgedanken heraus entstanden. Großartig finde ich die ersten IDZ Kataloge, die unter François Burkhardt in den 70er Jahren entstanden sind, in denen unglaublich viel Pionierarbeit für Design in Deutschland geleistet wurde. Das IDZ war unter anderem eine der ersten Institutionen, die das italienische „Radical Design“ nach Deutschland geholt haben.