Karsten

Henze

Vorstandsvorsitzender IDZ, Professor für Designmanagement, FH Potsdam

Ich habe zwar nicht direkt Design studiert, doch sehr früh Interesse am Thema in all seinen Facetten entwickelt. Nach meinem Abitur „traute“ ich mir allerdings nicht zu, Innenarchitektur oder Industriedesign zu studieren, da ich seinerzeit dachte, nicht gut genug zu sein, um wirklich erfolgreich zu sein. Dann aber gab es an der Hochschule der Künste, der heutigen UdK, einen neuen Studiengang, der mich von seiner inhaltlichen Ausrichtung wirklich begeisterte: Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Das schien wie für mich gemacht. Rückblickend würde ich allerdings auch sagen, dass ich so begeistert von dem Angebot war, dass ich es vielleicht versäumt habe, noch mehr nach links und rechts zu blicken, um zu sehen, was an der HdK noch alles angeboten wurde. Denn heute weiß ich: Es ist immer gut, „Grenzen“ zu überschreiten, Neues kennenzulernen und mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Das war ein Lernprozess, den ich durchlaufen habe. Was ich in Bezug auf ein sich wandelndes Bild vom Design bemerkt habe ist die Tatsache, dass das Thema über den Begriff „Design Thinking“ in den letzten Jahren auch in großen Unternehmen angekommen ist. Und damit auch der Kern dessen, wofür Design eigentlich steht: Dass es eben nicht um „Kosmetik“ kurz vor Ende der Fertigstellung eines Produktes geht, sondern darum, von vornherein die richtigen Problemlösungsstrategien anzuwenden. Das haben mittlerweile sogar die eher traditionell arbeitenden Bereiche innerhalb des Konzerns verstanden, in dem ich die vergangenen 17 Jahre tätig war. Und die Diskussion um „Design Thinking“ hat insgesamt geholfen, das Thema „Design“ ein wenig zu entmystifizieren und aus der Schublade herauszuholen. Zuvor kamen ja doch überwiegend Fragen wie „Was ist denn jetzt Design?“ oder „Ist das Design nicht längst fertig?“. Doch gilt weiterhin: Design ist eine Haltung und nicht irgendetwas, das man in Form gießt – dieses Prozessverständnis ist bei vielen Unternehmen leider noch nicht angekommen.

Warum sitzen wir hier? Wie hat es Sie zum IDZ getragen?

Ich habe das IDZ das erste Mal wahrgenommen, als ich noch in der Schule war, da saß das IDZ noch in der Ansbacher Straße. Mitte der Neunziger Jahre bin ich selbst eingetreten, weil ich es interessant fand und weil sich auch mein berufliches Leben mehr und mehr auf Design konzentrierte. Das IDZ hatte damals ein sehr gutes Format, das sich „Profile“ nannte. Das hatte mich begeistert. Hier stellten sich Mitglieder vor, man konnte sie vor Ort besuchen und kam in Kontakt, konnte hinter die Kulissen blicken, Zusammenhänge verstehen und merkte schnell, dass Design viel mehr ist als das, was gemeinhin damit verbunden wurde. Damals dominierte eher das Produktdesign das Bewusstsein, also etwas, bei dem man sich in irgendeiner Form mit einer formalen Struktur eines Produktes auseinandersetzt. Es ging noch nicht um Prozesse, noch nicht um Services, und ich erinnere mich, dass selbst das Thema Kommunikationsdesign im IDZ noch nicht unbedingt oben auf der Agenda stand. Das war zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich so, weshalb ich es toll zu beobachten finde, wie sich der Designbegriff zunehmend wandelt. Das macht mich zuversichtlich, da es noch einen langen Weg zu gehen gilt und es unglaublich viel zu tun gibt. Das IDZ wurde übrigens seit seiner Gründung und lange Zeit durch die Stadt Berlin institutionell gefördert und wirtschaftlich unterstützt. Es sollte als Schnittstelle zwischen Industrie, Privatem, Wirtschaft, Hochschulen und Kultur das Verständnis für das Design entwickeln und voranbringen. Vor einer großen Herausforderung stand das IDZ daher, als die Stadt Berlin Mitte der neunziger Jahre diese institutionelle Förderung einstellte. Das IDZ muss es seitdem schaffen, sich allein über Mitgliedsbeiträge und über Projektarbeit zu finanzieren. Das fordert das Team natürlich sehr, doch es gelingt ihm bislang, ohne dass es das eigentliche Ziel aus den Augen verliert: die Vermittlung der – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Bedeutung guten Designs.

Sie zitieren auf Ihrer Visitenkarte einen Satz von Albert Camus: „Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen“. Verstehen Sie Design und Designmanagement als glücksbringende Sisyphusarbeit?

Ich finde das sehr treffend. Ich erfuhr in meiner Zeit in verschiedenen Konzernen und Agenturen, dass man schnell unglücklich werden würde, wenn man glaubt, für jedes Problem eine schnelle Designlösung zu haben, die man übermorgen umsetzen kann. Man kann diesen Job daher eigentlich nicht projektbezogen begreifen, sondern nur als Haltung. Man muss Designmanagement umfassend verstehen: Überlebensnotwendig für die Ausübung der eigenen Profession ist das Verständnis für komplexe Unternehmensprozesse, für komplizierte Entscheidungswege und für die Eigendynamik einer Zusammenarbeit mit vielen Menschen, die nicht immer in die gleiche Richtung streben. Man muss selbst vermitteln können, wohin die Reise geht und muss sich im Zweifelsfall mit Richtungswechseln – wie bei sich ändernden „Windverhältnissen“ beim Segeln – arrangieren, ohne das Ziel aus dem Auge zu verlieren. Die Hintergründe für Richtungswechsel muss man erkennen und auch dem eigenen Team erläutern können. Es ist oft eine Gratwanderung, dass einem das nicht als Führungsschwäche, Wankelmut oder Plan- und Ziellosigkeit ausgelegt wird. Auch mit Rückschlägen muss man umgehen können und dennoch Spaß dabei haben, um – um im Bild zu bleiben – trotzdem den Stein immer wieder den Berg hochzurollen. Wenn man diese Facetten der „Leidensfähigkeit“ nicht mitbringt oder sich antrainiert, dann kann es ein sehr harter Job werden. Das verbinde ich mit Designmanagement: Nicht irgendetwas, das als Fach belegt wird, sondern etwas, das ganz viel mit der persönlichen Einstellung zu tun hat.

Mit welchen Problemen werden wir uns in Zukunft verstärkt konfrontiert sehen, im Design und im Designmanagement?

Ich bin da eher optimistisch, da sich das Verständnis gewandelt hat und wir Fortschritte sehen. Zum einen ist der notwendige „Leidensdruck“ vorhanden, das erkennen auch viele Anbieter, egal ob von Produkten oder Dienstleistungen. Dinge, Prozesse und Services werden immer austauschbarer, folglich wird die Notwendigkeit zur Differenzierung größer. Da kann Design durchaus helfen, ebenso das erwähnte Thema „Design Thinking“. Man kann Design zudem als Werkzeug einsetzen, mit dem sich selbst managen lässt. Das ist eine weitere Facette des Designmanagements: Man kann auf Methoden zurückgreifen, die einem Designer sehr vertraut sind, aber der traditionellen Ökonomie als neu erscheinen. Methoden wie „agiles Arbeiten“, ein „sich annähern“ an eine Lösung durch iterative Prozesse: Das sind für viele Hersteller völlig neue Arten der Problemlösung. Was ebenfalls eine immer größere Rolle spielt, ist, den Menschen in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu stellen, also das „Human-Centered Design“. Ein guter Designer sollte eigentlich nie anders gearbeitet haben. Da liegt es nah, dass Designer und Firmen sich zukünftig vielleicht eher kurzschließen und dieses „neue alte Denken“ stärker in Firmenprozesse integriert wird.

Über das prozesshafte und interdisziplinäre Denken hinaus: Welche Verantwortung kann Design übernehmen, wenn man davon ausgeht, dass es immer eine ethische und politische Haltung haben muss, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Design in Unternehmen offensichtlich eine immer größere Rolle spielt?

Design ist per se Haltung und zwar eine, die über die eigentliche Gestaltungsaufgabe hinausgeht. Dieses Verständnis wächst zunehmend in Unternehmen. Ein Beispiel: Auch das Thema „CSR“ (Corporate Social Responsibility) spielte noch vor 20 Jahren so gut wie keine Rolle. Heute ist der Begriff in allen Firmen fest verankert. Trotzdem, da bin ich mir sicher, braucht es bestimmt noch eine Generation, bis diese Themen als Selbstverständlichkeit im unternehmerischen Handeln verstanden werden und nicht – wie heute noch oft – eher als separate Abteilung in einem Unternehmen.

Woher kommt denn diese Haltung, aus dem Marketing?

Sie kommt tatsächlich vom Markt selbst. Man kann heute nichts mehr verkaufen, was gegen Marktinteressen gerichtet ist. Themen wie „CSR“ oder auch ein ethisch verstandener Designbegriff werden sich durchsetzen. Es wird, wie schon erwähnt, sicher noch eine Generation brauchen, dass Themen, die jüngeren Generationen schon selbstverständlich sind, auch in Unternehmen keine Frage mehr aufwerfen. Hierzu gehört auch ein Umdenken der Organisationstrukturen.

Anderes Thema: Wir organisieren übrigens als IDZ seit 2012 den „Bundespreis Ecodesign“. Wenn ich jetzt mal provokant und„böse“ denke, gehört dieser Preis natürlich so schnell wie möglich abgeschafft, da es niemals unökologisches Design geben darf. Perspektivisch müssen wir als IDZ somit alles daran setzen, dass es einen Bundespreis Ecodesign in der Form gar nicht mehr geben muss, da im Grunde eine Selbstverständlichkeit guten Designs ausgezeichnet wird.

Eine andere These, die Sie offenbar wichtig und richtig finden, ist der Satz „Man kann nicht nicht kommunizieren“ von Paul Watzlawick. Inwiefern hängt der Umstand, dass es einen solchen Preis heutzutage noch gibt damit zusammen, dass diese Form der Kommunikation scheinbar noch gebraucht wird?

Noch immer denken viele Unternehmen beim Thema Design, dass man „es am Schluss machen“ oder gar insgesamt vernachlässigen kann. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ steht also im übertragenen Sinne dafür, dass man auch nicht nicht designen kann. Ein Produkt oder ein Service wird am Markt sichtbar und erlebbar. Und zwar unabhängig davon, ob die Gestaltung eine hohe Qualität aufweist oder einfach nur „passiert“ ist. Hier geht es also um die Notwendigkeit stringenter und konsistenter Markenführung, gerade wenn eine Marke über viele Kundenkontaktpunkte verfügt. Da muss alles zusammenpassen, um einen einheitlichen Eindruck als Marke zu vermitteln, doch „gestaltet“ wäre alles auch ohne klare Linie. Nur eben „schlecht“ aus der Perspektive der Nutzer.

Ein „Bundespreis Ecodesign“ hilft übrigens auch als Einstieg in eine Diskussion über die Notwendigkeit ganzheitlich gedachter Gestaltung. Gerade im Gespräch mit Menschen, die mit einem – in dieser Form richtig verstandenen – Designbegriff zuvor nie oder nur wenig in Berührung kamen. Man kann auch hier nicht nicht kommunizieren – im Gegenteil: man muss kommunizieren! Der Ecodesign-Preis entspricht somit auch dem Wunsch, ein wenig mehr Aufmerksamkeit auf diese aktuell noch so nötige Facette des Designbegriffs zu lenken.

Welche Kommunikationsformen sind innerhalb einer Firma für den interdisziplinären Austausch in einer Projektsteuerung wichtig?

Es kann sein, dass man eine Idee hat, in einem Tag einen Prototypen bauen kann und in zwei Wochen tolle Ergebnisse erzielt, die man unter Marktbedingungen testen kann. In einem „etwas größeren“ Unternehmen ist das allerdings kaum umsetzbar. Es „stört“ meist die Organisation selbst, die einzubindenden „Stakeholder“, die vielen Abstimmungsrunden – so geht viel Zeit verloren. Insofern behaupte ich mal provokant: Die für Designer ideale Organisationsform ist eine Art „Pseudo-Diktatur“. Apple zum Beispiel war und ist in dieser Hinsicht sicherlich kein „demokratisches“ Unternehmen: Wenn Steve Jobs der Meinung war, dass etwas gemacht werden sollte, musste er nicht erst ein Jahr innerhalb seiner Organisation diskutieren oder überzeugen. Das klingt jetzt ein bisschen „bösartig“, aber ein gemeinsames Design- und Markenverständnis und kurze Entscheidungswege – das macht viele erfolgreiche Firmen aus.

Übrigens: Wenn man als Auftragnehmer für ein Unternehmen arbeitet, sollte man sich auch dafür interessieren, mit wem man es genau zu tun hat. Man arbeitet ja nie mit einer abstrakten „Firma“, sondern immer mit konkreten Ansprechpartnern , die auch eigene Interessen verfolgen – oder die der eigenen Abteilung – und die vielleicht selbst keine Chancen haben, gute Idee durchzukriegen. Man sollte daher ganz früh alle „Stakeholder“ kennen und einbeziehen, deren Input zur Erreichung des gemeinsamen Ziels wichtig ist. Ebenso muss man sich sehr frühzeitig darüber Gedanken machen, wie die Ergebnisse sukzessive zu implementieren sind. Denn das Thema „Implementierung“ wird noch immer sehr unterschätzt, doch letztendlich ist alles, was erarbeitet wurde, nichts wert, solange es nicht im Markt ist und umgesetzt wurde.

Sie waren jahrelang im Designmanagement tätig. Was haben Sie über Teamführung gelernt?

Hier ist nicht zuletzt ein Aspekt wichtig, den man weder in der Schule, Hochschule oder im Job direkt beigebracht bekommt – die sogenannten „Soft Skills“: Informationen teilen, authentisch bleiben, keine „Rolle“ spielen, Empathie entwickeln und pflegen, führen können. Das alles ist mindestens so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als die eigentliche „Fachkompetenz“. Und für erfolgreiche Teamarbeit gilt: Alle bringen unterschiedliche Facetten ein, aber es braucht ein gemeinsames Ziel. Hier helfen sogenannte Zielvereinbarungsgespräche, die zu Beginn des Jahres mit jedem Einzelnen stattfinden – und die durchaus Geld wert sind. Für beide Seiten. Es werden gemeinsam Ziele definiert und daraus Zielvorgaben abgeleitet. Auf diese verständigt man sich und kontrolliert sie im Laufe des Jahres gemeinsam. So kann man erörtern, wie weit man ist, ob man Unterstützung braucht, was vielleicht unerwartet anders gelaufen ist und was des „Finetunings“ bedarf. Zunehmend wird dieses Instrument auch von Agenturen verstanden und genutzt.

Designer*innen sollten sich auch sehr früh mit den „Spielregeln“ von Führung und Organisation beschäftigen, die ja per se nichts Schlechtes sind. Ich erlebe immer noch, dass viele Designer führungsavers sind, sowohl im Nehmen, als auch im Geben. Dabei erleichtert Führung das Leben, denn ohne Kompass ist jeder Weg der Richtige. Wenn man einen Stein rollt wie Sisyphos, sollte man schon das Ziel kennen, denn sonst rollt der Stein ins Tal und man denkt „Hey, das ist ja gar nicht schlecht, der läuft von ganz alleine und ich brauche nur hinterher zu laufen“. Ansonsten empfehle ich, immer an sich zu arbeiten, neugierig zu bleiben und zu versuchen, sich Zeit für Führung zu nehmen. Auch für die eigene. Doch sich im laufenden Alltag diese Freiräume zu holen – das ist das Schwerste. Es ist aber wichtig, sich Zeit zu nehmen für sich und seine Kollegen, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen und vor allem zuzuhören.

Wie kann man die Außenwahrnehmung des Designs verändern?

Designer haben eine ganz besondere Art und Weise, an Probleme heranzugehen und sie zu lösen. Diese Fähigkeit sollten sie mehr in den Mittelpunkt stellen, denn diese sind nicht so selbstverständlich, wie viele Designer*innen selbst glauben.

Welche Entwicklungen kommen auf das IDZ in Zukunft zu?

Das IDZ ist ein Verein von Mitgliedern für Mitglieder – eine kommunikative Chance, den Wert des Designs in all seinen Facetten darzustellen, eine Plattform, auf der Mitglieder die zuvor genannten Themen verbreiten, sich untereinander ertüchtigen, sich austauschen, angeregt diskutieren und Informationen und Wissen teilen können. Das IDZ hat zudem unverändert das Ziel, auch mit „noch nicht-designaffinen“ Unternehmen ins Gespräch zu kommen und neue Möglichkeiten zu erschließen. Der Mittelstand macht 75% der deutschen Wirtschaftsleistung aus, darunter sind auch viele „Hidden Champions“, die mit dem richtigen Verständnis von Design sicher noch erfolgreicher werden können. Es passiert noch ganz viel im Design, deshalb werden wir mit dem IDZ noch stärker in diese Themen einsteigen.

Mit Design lässt sich Wirtschaftsförderung par excellence betreiben. Eine wichtige Aufgabe wird es daher auch in Zukunft bleiben, die Politik dafür zu sensibilisieren. Das IDZ kann dabei auf eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken und wird auch für zukünftige Generationen und neue Mitglieder attraktiv bleiben, als lebendige „Institution“ und „Anwalt“ guten Designs – auch in den nächsten fünfzig Jahren.

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